Pen-and-Paper
Artikel: Pen-and-Paper über das Internet – Meine Erfahrungen
Vor drei Jahren waren die Termini »Pen-and-Paper-Rollenspiel« und »Onlinespiel« nahezu nicht miteinander in Einklang zu bringen. Zwar gab es bereits einige Onlinerunden mit verschiedenen Tools und Hilfsmitteln, die meisten von uns dürften jedoch die Haptik von Büchern, das Schreiben auf Papier und physikalische Würfeln genauso schätzen wie das persönliche Treffen Vis-à-vis, den obligatorischen Chips und Keksen auf dem Spieltisch und lustige Anekdoten von durch fehlendem Würfelglück geplagten Barbaren und den Schreikrämpfen des:der Spieler:in.

In diesem Artikel gehe ich auf verschiedene Erfahrungen und Gedanken im Zusammenhang mit dem Onlinespielen von Pen-and-Paper-Spielen ein. Alle Punkte sind lose Erfahrungen zu verschiedenen Aspekten des Onlinespiels, die im Laufe der Zeit noch ergänzt werden. Die letzte Änderung an diesem Artikel ist vom 12.02.2023.
Allgemeines
Mittlerweile haben sich tausende Runden Pen-and-Paper online ereignet. Am Anfang oft noch mit improvisierten Hilfsmitteln und einer gewissen technischen Spontanität, haben sich im Laufe der Abenteuer und Kampagnen einige Wege herauskristallisiert, die zuverlässig funktionieren. Ich bevorzuge Offlinerunden zwar weiterhin deutlich, durch die Einfachheit von Onlinerunden als Ergänzung kommt man aber häufiger zum Spielen. Unsere Offlinerunden finden aus Termingründen nur etwa 3-4x pro Jahr statt, womit sie zu wahren Höhepunkten werden. Ergänzende Onlinerunden 1-2x pro Monat sind da eine willkommene Abwechslung, die ebenfalls großen Spaß bereiten.
Durch das Aufkommen und die massive Weiterentwicklung von Virtual-Table-Tops (VTTs) stehen manche Onlinerunden einem PC-Spiel kaum in etwas nach. Ein komplett eingerichtetes Foundry VTT mit allen 3D-Effekten, den Regelwerken, eingepflegten Charakterwerten, hinzugefügten Waffen und Zaubern hat mich fast an meine Schulzeit erinnert, als »Guild Wars« gerade Hochkonjunktur bei uns hatte. Moderne Dungeon-Builder wie TaleSpire haben eine bessere Grafikengine als viele PC-Spiele.
Die wichtigste Frage ist: Wie viel der gemeinsamen Fiktion soll in der eigenen Vorstellung passieren, und wie viel durch das Medium dargestellt werden? Die Antwort darauf ist – wie alles – sehr individuell. Auf einer Skala von 0 bis 20 (0 = Komplett im Kopf, ohne digitale Visualisierung | 20 = komplette Übernahme der Visualisierung durch Software, mit hübschen 3D-Effekten und allen Regeln) könnte man fast jede einzelne Abstufung auswürfeln lassen und trotzdem noch Untervarianten in der Spielgestaltung finden. Hier unterscheiden sich Spielgruppen fundamental voneinander; in einer Session Zero solltet ihr klären, was jede einzelne Person vom gemeinsamen Spiel erwartet.
Session Zero
Bei neuen Spielgruppen macht eine Session Zero – also eine Vorab-Besprechung aller Beteiligten – Sinn. Erst recht in Onlinerunden, bei denen man sich vermutlich flüchtiger kennt, als in der echten Welt. Hier sollten Verhaltensregeln und No-Gos verbindlich abgesprochen werden. Hierzu zählen unter anderem der Umgang mit Gewalt, verschiedene Trigger-Themen und allem voran Safety Tools, sollte sich eine Person bei einer konkreten Situation unwohl fühlen. Wichtig ist auch, dass die Spielgruppe menschlich auf einen Nenner kommt. Viele moderne Themen wie Diversity, Inklusion, Frauenrechte und der Umgang mit Leuten aus der LGBTQIA-Community wurden zu Zeiten vieler Fantasy-Settings (13. – 15. Jahrhundert) – untertrieben gesagt – konservativ betrachtet. Meine Meinung ist hier eindeutig: Niemandem wird durch Vielfalt etwas weggenommen. Man betreibt mit einem Pen-and-Paper-Spiel keine historische Abhandlung von überlieferten Fakten, sondern erlebt ein gemeinsames Abenteuer nach der eigenen Vorstellung und sollte sich die Welt daher so gestalten, wie sich alle damit wohlfühlen. Wer sich darüber beschwert, dass der Halbork Frydolin den muskulösen Kellner anflirtet, darf gerne meine Spielrunde verlassen.
Spieltyp: Videotelefonie und optionale Bildschirmfreigabe
Mein Favorit. Die Gruppe versucht, die räumliche Distanz mit technischen Hilfsmitteln zu überwinden, ansonsten aber den klassischen Pen-and-Paper-Mechanismen treu zu bleiben. Man sieht einander über die Videotelefonie-Anwendung seiner Wahl und spielt ansonsten wie gehabt.
In einer Spielrunde sollte ein gesundes, gegenseitiges Vertrauen herrschen, weswegen ich meinen Mitspieler:innen bei ihren Würfelproben vertraue – wer möchte, kann physikalisch würfeln, eine App benutzen oder einen Online-Dienst verwenden. Die Würfe werden von mir als Spielleitung nicht kontrolliert. Ob jemand den eigenen Charakter auf Papier, in einem Word-Dokument oder auf D&D Beyond pflegt, ist egal – das kann jede:r so handhaben, wie er:sie gerne möchte.
Wenn eine Battlemap benötigt wird, kann die Spielleitung eine Anwendung seiner:ihrer Wahl teilen – das geht mit den meisten Videotelefonie-Diensten (siehe unten) ausgezeichnet. Man kann die Karten hemdsärmelig in einer Grafiksoftware wie Photoshop (oder Affinity Photo) pflegen, hat direkt Werkzeuge für Tokens und Markierungen sowie Maskierungen als Dungeon Fog zur Hand. Eine simple Lösung, die wenig Einarbeitung erfordert. Die Spieler:innen teilen dann mit, wohin sie ihren Token verschieben möchten – ein großer Vorteil, da die Kommunikation gefördert wird: »Ich gehe ein paar Schritte nach oben, um vorsichtig einen Blick um die Ecke zu werfen. Etwa zwei Kästchen nach oben.« ist ein typischer Satz, der sowohl in der Fiktion, als auch der realen Welt am Spieltisch Bedeutung hat. Beim kompletten VTT-Setup würde die Person wahrscheinlich selbstständig ihren Token verschieden, mitunter auch ohne etwas zu sagen.
Nachteilig kann die Messung von Distanzen sein. Das Anzeigen eines Gitters ist zwar einfach möglich, muss aber in puncto Skalierung einmal eingerichtet werden. Wenn man mehrere Karten in einer Projektdatei verwaltet, muss man ggf. während der Sitzung die Skalierung ändern, was die Immersion stören kann. Für One-Shot-Runden, kartenarme Runden oder grafikaffine Dungeon Master aber eine hervorragende Methode!
Der hybride Spieltyp: VTT und Videotelefonie
Die meisten VTT-Systeme bieten viele Funktionen, wie die Verwaltung von Charakteren, zukaufbare Regelwerke, Erweiterungen und hübsche Effekte beim Wirken von Zaubern. Ich selbst bin von der komplexen VTT-Experience nur mittelprächtig begeistert, da die komplexen Menüs und virtuellen Charakterbögen oft viel »Klickerei« erfordern, was die Immersion stört und die Ablenkung fördert.
Ein guter Mittelweg ist, VTT-Systeme ohne Regelwerk zu verwenden – nämlich nur mit den Kartenfunktionen. Foundry bietet hierfür die Option »Simple Worldbuilding« an, mit der Karten erstellt, Tokens platziert und Dungeonfog aufgedeckt werden kann – aber ohne den Simulations-Overhead der implementierten Regeln. Auch Roll20 lässt sich sehr einfach als flexible Kartenfläche verwenden.
Spieltyp: Das komplette VTT-Setup
Wer das komplette VTT-Setup einsetzen möchte, kann nahezu das gesamte Spielerlebnis digital abbilden. Zukaufbare Inhalte wie die offiziellen D&D-Inhalte auf Roll20 (Player Handbook, Monster Manual, etc.) bieten alle Charakteroptionen für den virtuellen Charakterbogen, Gegenstände (die auf der Karte in Truhen platziert und gefunden werden können) und regelkonforme Kämpfe mit korrekten Distanzen, Verwaltung des Inventars, Zauberplätze, Level-Up und weitere Implementierungen der Spielregeln.
Die Rolle der Spielleitung verlagert sich in Richtung eines »Moderators«, der durch das Geschehen führt, aber deutlich durch die Technik unterstützt wird. Das muss nichts Schlechtes sein! Wie bei allen rundenspezifischen Themen hilft der Dialog in Session Zero.
Spieltyp: Ohne Karte
In einigen Systemen ist das Spielen ohne Karte obligatorisch, in anderen fällt es unter die Rubrik »Experimentelles«. Oft sind – aus meiner Erfahrung – die gut erzählten und lebendig beschriebenen Spielrunden die spannendsten. Regellastige Kämpfe werden wegminimalisiert und durch »Common Sense«-Kampfhandlungen ersetzt. Eine gute Inspiration kann das Spielzug-System von »Dungeon World« sein, von dessen Leichtigkeit auch Spielleiter:innen anderer Systeme etwas lernen können. Für diesen Spieltyp genügt eine Videotelefonie-Anwendung und alle sonstigen (individuellen) Vorbereitungen.
Die Technik zur Übertragung des Videos
Gerade zu Beginn des Onlinebooms von Pen-and-Paper-Spielen waren einzelne Lösungen in den Abendstunden komplett überlastet. Diese Zeiten sind vorbei, dennoch gibt es des Öfteren Ausfälle, hohe Latenzen und Ruckler. Bewährt hat sich bei unseren Onlinerunden, nicht nur ein Tool zur Hand zur haben, sondern eine Auswahl. Wenn heute die Übertragung mit Discord ruckelt (und der obligatorische Neustart nicht hilft), wechseln wir zu Microsoft Teams. Das können in eurem Set-up auch WhereBy und Zoom sein – wichtig ist, dass man während der Runde schnell wechseln kann. Unserer Erfahrung nach sind es selten individuelle Internetprobleme, weshalb der Wechsel Abhilfe schaffen kann. Nichts stört die Immersion mehr, als eine 25-minütige Fehlersuche.
Spielnotizen
Notizen zur Handlung kann man gemeinsam (z. B. in einem freigegebenen One Note-Notizbuch, einem Google Docs-Dokument, einem eigenen Wiki, etc.) oder allein festhalten. Ein wichtiger Punkt, der in Session Zero besprochen werden muss. Meiner Erfahrung nach schläft die Begeisterung für gemeinsame Notizen bei den Spieler:innen schnell ein, weshalb ich als Spielleitung eigene Notizen mache, um das bisherige, grobe Spielgeschehen im Recap wiedergeben zu können. Die Spieler:innen sind für ihre eigenen Notizen verantwortlich.