Die Pandemie hat die Arbeitswelt zu einer überfälligen Modernisierung gezwungen. Selbiges gilt für viele Freizeitaktivitäten, über die nur seltener gesprochen wird – darunter Pen-and-Paper Rollenspiele. Ein Bericht über die Veränderung des rund 50 Jahre alten Hobbys und die Entstehung der besten Pen-und-Paper-Runde der Welt.
Das gesamte Leben ist eine endlose Verkettung von Kausalitäten, die nicht zwangsweise immer linear verlaufen müssen. Hätte mein Freund und Ex-Arbeitskollege vor einigen Jahren nicht seinen Job in unserer Firma gekündigt, hätte ich mit seiner Nachfolgerin nicht gemeinsam den Einstieg in Dungeons & Dragons gefunden. Und wäre einige Jahre später nicht die Corona-Pandemie ausgebrochen, hätte ich mich vermutlich nie auf die Suche nach einer Online-Spielrunde hierfür gemacht. Immerhin schloss sich dieser Kreis wieder, als besagter Freund an meinem ersten Homebrew-Abenteuer – natürlich online – teilgenommen hat.
Ähnlich verkettet fühlt sich der parallele Zeitstrahl an. Als ich 2018 den pixelpommes Podcast ins Leben rief, stießen auf Twitter viele nette Menschen dazu, die das Projekt begleiteten und mit mir in Kontakt traten. Darunter Mirco, vielen bekannt als SteamTinkerer, der gemeinsam mit David ebenfalls einen Podcast betreibt – SteamTinkerers Klönschnack. Das Thema: Pen-and-Paper Rollenspiele. Nach ein paar freundschaftlichen Nachrichten fragte ich Mirco, ob er eine kleine Runde Dungeons & Dragons online leiten möchte. Ich hatte großes Interesse, nicht nur mit unserer eigenen Gruppe autodidaktisch D&D zu lernen, sondern mit erfahrenen Spieler:innen in das Spiel einzusteigen.
Was aus dieser Anfrage etwa anderthalb Jahre später werden würde, konnten wir damals nicht ahnen: Über 70 Spielstunden in 35 Sessions, allesamt als Actual Play auf YouTube und im Podcast von David und Mirco veröffentlicht. Ein 14-tägiges Ritual inmitten der Home-Office-geplagten Pandemie. Wenn auch viele andere Umstände an den Nerven zehrten, auf die D&D-Spielrunde am Freitagabend war Verlass. Technisch liefen die digitalen Spielsitzungen besser als gedacht: Nur sehr wenige Fragen (»Hörst du mich?« oder »Bist du noch da?«) kamen zu Verbindungsproblemen auf, und selbst davon kann imaginär die Hälfte abgezogen werden, weil ich ungeplant den Browsertab geschlossen habe.
Es zog die Gruppe in die Vergessenen Reiche, dem Stamm-Schauplatz von Dungeons & Dragons in der 5. Edition. Das gespielte Einstiegsabenteuer Lost Mine of Phandelver – damals noch kostenpflichtig aus der Einsteigerbox – bot sowohl für uns Neulinge als auch für die erfahrenen Spieler:innen gute Möglichkeiten, sich einzubringen – ohne dabei zu langweilen. Neben dem gebotenen Ernst und vielen filmreifen Rollenspiel-Szenen gab es zwischendrin genug Klamauk und Slapstick, der bei den Zuschauer:innen für Unterhaltung sorgte. Bereits in der Session Zero haben wir schnell gemerkt, dass wir uns in vielen Themen einig sind und ein ähnliches Verständnis von Pen-and-Paper Rollenspiel haben. Der wichtigste Konsens dürfte sein, dass wir alle einen tollen Abend verbringen wollen und keine Verfechter von veralteten und längst überholten Meinungen und Idealen sind. Sätze wie »Im Mittelalter gab es so etwas nicht!« sind in all den Sessions nicht gefallen, stereotype und langweilige Personen wurden vom Dungeons Master im Sinne der Diversität angepasst und unser selbst gewähltes Safeword »Pommes-Schranke« wurde nicht gebraucht.
Neben der großen, gemeinsamen Handlung bekam jede Spieler:in eine eigene, individuelle Aufgabe aufgetragen, der er:sie im Abenteuer nachgehen konnte. Mit gegenseitiger Unterstützung konnten wir nahezu alle Probleme lösen, wenngleich das Würfelglück nicht immer auf unserer (meiner) Seite war. Zwischenzeitig fragte ich mich fast, ob meine Serie an kritischen Fehlschlägen unglaubwürdig wirkt. So wie es unseriös schiene, wenn eine Spieler:in dauernd nur kritische Erfolge feiert. Vielleicht hätte ich zwischendurch die Würfel wechseln sollen, um mehr Glück auf meine Seite zu ziehen. Leichter gesagt als getan: Mit meinen zwei Würfelsets wurde ich bei einem gemeinsamen Besuch im Rollenspielladen mit Argwohn betrachtet, als mir »Wieso sollte ich ein Würfelset kaufen, ich habe doch schon zwei?« über die Lippen ging.
Man muss in dieser Welt nicht alle Kausalitätsketten bis zum Ende analysieren, gleichwohl es von Zeit zu Zeit spannend ist. Manchmal frage ich mich aber schon, wie die Geschichte geendet hätte, wenn die Heimlichkeitsproben von Schurke Tumiel in der Session 20 nicht funktioniert hätten. Vermutlich wären wir dann ein Jahr später nicht betrunken auf einem Luftschiff aufgewacht.